„Die Legende Münch wird ewig weiterleben“
Friedel Münch wird 1927 im hessischen Dorn-Assenheim geboren. In den Nachkriegsjahren richtet er sich bei seinem Vater, der eine Tankstelle und eine Horex-Vertretung betreibt, eine kleine Werkstatt ein. Dort lernt er schnell alle Arten von Motorräder zu reparieren und – wegen des Mangels an Neuteilen – auch zu improvisieren. Die Not wird zur Tugend und für Münch Junior der Beginn der ihn sein Leben lang begleitenden Arbeitsphilosophie „geht nicht, gibt es nicht“. Im deutschen Wirtschaftsaufschwung nach der Währungsreform kann er sich schon bald vor Aufträgen kaum noch retten.
Neben einer Ausbildung in Maschinenbau und Elektronik bastelt er an seiner 500er Horex S5 herum. Im Frühjahr 1948 nimmt er mit der frisierten Einzylinder-Maschine an einem Rennen auf dem Hockenheimring teil. Während er im Training noch mit einem Rundenschnitt von 147,2 km/h die Konkurrenz beeindrucken kann, fliegt dann aber während des Rennens der Antrieb auseinander. Er baut daraufhin den Motor um, verpasst ihm einen Zylinderkopf mit zwei obenliegenden Nockenwellen, sowie eine Königswelle für den Antrieb. Nach dem Umbau erinnert nichts mehr an das Horex-Original. Er nennt das Motorrad „Münch-Spezial“. Nach einem Rennsturz verabschiedet er sich vom Motorsport, aber nur als Fahrer.
1955 arbeitet Münch ein halbes Jahr lang in der Versuchs- und Rennabteilung von Horex in Bad Homburg. Ein Jahr später schließt das Horex-Werk seine Pforten und der junge Techniker kauft schnell entschlossen deren gesamten Fertigungsvorrichtungen für die Motorenproduktion sowie das Ersatzteillager auf. Münch kann nun selbst komplette Motoren erstellen. Und während der mehrfache Gespann-Weltmeister Klaus Enders mit einer 500er „Münch-Horex“ die ersten Erfolge verbucht, experimentiert Münch an einem Vierzylinder-Aggregat sowie an einer leistungsfähigen Bremsanlage herum. 1964 ist die selbstentwickelte „Münch-Rennbremse“, eine leistungsfähige Vorderrad-Duplextrommelbremse, fertig. Sie soll die folgenden vier Jahr, bis zur Einführung der serienmäßigen Scheibenbremsanlagen durch Honda, das Maß der Dinge sein.
Die Fertigstellung seines Vierzylinderkopf-Motors zieht sich hinaus. Zwischenzeitlich hat sich der Techniker und Konstrukteur zum Entschluß durchgerungen, ein eigenes Straßenmotorrad zu entwickeln. Er verzichtet auf ein eigens entwickeltes Antriebsaggregat und baut kurzerhand um den gerade in jenen Tagen vorgestellten Vierzylinder-Motor des NSU 1000 herum sein eigenes Motorrad – alle erforderlichen Teile werden von ihm persönlich konstruiert und in jeder freien Minute an Drehmaschine und Fräsbank produziert. Ende Februar 1966 stellte Münch schließlich seinen superlativen Prototyp vor, der, wegen seiner gewaltigen Erscheinung, den Namen Mammuterhält. Die NSU-Geschäfstführung frohlockt, denn schließlich treibt nun ein NSU-Motor das seinerzeit schnellste deutsche Motorrad in Deutschland an. Als Friedel Münch sein erstes Vierzylinder-Motorrad vorstellt, ist er seiner Zeit – selbst gegenüber den Motorradnationen Japan und den USA – um Jahre voraus.
In der Zeit, als das Zweiradgeschäft in Deutschland am Boden lag, scheitert eine Serienfertigung vorerst an der Finanzierung und am Arbeitsaufwand für die wenigen Mitarbeiter. Stattdessen entwickelt Münch noch im gleichen Jahr konsequent den Prototyp weiter. Das zweite Münch-4-Motorrad mit der Fahrgestellnummer 001 entsteht. Die erwähnenswerteste der vielen Erneuerungen ist die Hinterradfelge aus Elektron-Guß mit integrierter Duplex-Trommelbremse. Das neue mächtige „Schaufel-Rad“, der Kettenkasten, die 4-in-2-Auspuffanlage und der Doppelscheinwerfer werden zum festen Markenzeichen der Mammut. Der neue Koloss, der den Markennamen „Mammut“ nicht tragen darf, da dieser bereits rechtlich geschützt war, wiegt stattliche 255 kg und beschleunigt in 4,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Die Nachricht von der Münch Mammut verbreitet sich schnell. Anfragen aus aller Welt erreichen Friedel Münch, hunderte auch aus den USA. Auf der Kölner IFMA 1966 – das neue Big Bike ist dort die große Sensation – trifft Münch den amerikanischen Verleger, Multimillionär und Motorradfan Floyd Clymer. Dieser möchte mit ihm als Partner eine neue Generation von Indian-Bikes produzieren. Auch an einer Serienfertigung der Mammut für den amerikanischen Markt ist der kapitalstarke Geschäftspartner und einstige US-Motorradmeister interessiert.
Eine alte Schmiede in Ossenheim bei Friedberg wird kurzfristig in eine Motorradfabrik umgebaut. Schon bald fertigen hier 18 Mitarbeiter die Münch-4-Serie. Jede einzelne Maschine wird individuell, Kundenwünsche berücksichtigend, aufwendig von Hand hergestellt. Ab Rahmennummer oo2 wird ein neues Primärgehäuse mit Bosch-Anlasser, eine neue Kupplung und Zündanlage eingebaut. Bis Ende 1967 werden die insgesamt 30 produzierten Münch-4 TT Motorräder mit den 55 PS starken NSU TT Motoren ausgestattet. Ab 1968 werden für die Münch-4-Motorräder ausschließlich die Prinz-Version TT 1200 verwendet. Die auf 88 PS getunte Münch-4 TTS besitzt nun eine gewaltige Beschleunigung, erreicht in 11 Sekunden 160 Stundenkilometer, voll ausgefahren sogar 210 km/h. Das Motorrad kostet fast 10.000 Mark.
Im Jahr 1970 stirbt der amerikanische Partner – und zwischenzeitliche Freund – Floyd Clymer. Vor seinem Tod hatte er seine Münch-Anteile an die reiche Familie Bell verkauft. Der Sohn George Bell, auch ein Motorradfan, wird der neue Geschäftsführer in der Ossenheimer „Münch-Motorradfabrik KG“. Noch im gleichen Jahr erfolgt der Umzug nach Altenstadt, in ein neues Werk, eingerichtet nach dem neuesten Stand der Technik. Mittlerweile zählt die Belegschaft 38 Mitarbeiter. Die neue Betriebsleitung kurbelt die Produktion der Münch-4 TTS an und unterstützt Münchs Ideen bei deren Weiterentwicklung. Jedoch bevor die Gewinne sprudeln, ist die Millionen-Investion aufgebraucht, die Firma hoch verschuldet. Viele Rechnungen bleiben unbezahlt. George Bell verschwindet zurück in die USA. Ende 1971 muss die Motoradfabrik Konkurs anmelden. Der Pioniergeist des unermüdlichen Motorradbauers lässt sich dadurch nicht entmutigen. Münch findet bald in einem hessischen Unternehmer einen neuen Partner. Die Firma wird zu einer GmbH. Die Produktion läuft dann wieder auf Hochtouren. Zeitgleich setzt 1972 ein Boom der Zweiräder ein. Aus England, Italien und besonders aus Japan bemühen sich Motorradhersteller den europäischen Marktes zu erobern. Münch erkennt die Marktentwicklung und begibt sich – erfolgreich – auf die Suche nach neuen technischen Lösungen: Er ersetzt den Weber-Doppelvergaser des Big Bikes durch eine moderne Einspritzanlage. Diese Modifikation erzeugt einen gewaltigen Leistungsgewinn, die Motorleistung beträgt nun 104 PS. Anfang 1973 ist die Münch-4 TTS E das stärkste und schnellste Motorrad der Welt.
Die internationale Konkurrenz kann ihre in großen Serien hergestellten, teilweise hervorragenden, Motorräder bedeutend preiswerter als die Handarbeit hergestellte Münch-4 anbieten. Ende 1973 wird Münch von dieser Realität eingeholt, muss Konkurs anmelden und sogar mit seinem Privatvermögen herhalten. Heinz W. Henke, ein Frankfurter Lebensmittelgroßhändler, kauft die Konkursmasse auf. Friedel Münch wird als Technischer Leiter angestellt. Nach nur zwei Jahren verlässt Friedel Münch die Firma. Henke produziert weiterhin die Münch-4 TTS mit und ohne Einspritzanlage – auch drei sogenannte „Henke-Münch“-4 TTS 1300 entstehen in diesen Jahren. Als 1980 die Produktion endgültig eingestellt wird, ergibt sich seit 1966 gerechnet eine Gesamtstückzahl von 478 produzierten Münch-Rädern. Keine Massenprodukte, sondern Einzelanfertigungen für Individualisten mit dem Wunsch, eine leistungsstarke und einmalige Maschine zu fahren.
Nach der Trennung von Henke tüffelt Münch – nun wieder selbständig – weiter an seinen Zweirädern herum, funktioniert einige Bikes mit Turbolader zur Münch-4 TTS-E Turbo um, macht diese damit zu 125 PS starken und 240 km/h schnellen „Mammuts“. Zudem baut er auf Kundenwunsch eine Horex 1400 TI, eine Titan 1600 und eine 150 PS starke Titan 1800 für einen amerikanischen Freund. Bis Ende 1989 konstruiert er die Titan 2000, zwischenzeitlich mit Unterstützung seines Sohnes, für einen wohlhabenden Adligen. Mitte 1991 erleidet der zwischenzeitlich 64jährige Konstrukteur einen Schlaganfall. Er überlebt und kann sich nach einem halbjährigen Krankenhausaufenthalt, mit der ihm gegebenen Willenskraft, wieder hochrappeln und die folgenden Jahre täglich wieder ein paar Stunden im Betrieb arbeiten (Zitat Münch: „Arbeit ist die beste Therapie“).
Mitte der 90er Jahre entwickelt der angeschlagene Pionier, der Schlaganfall hatte an seinen einst geschickten Händen deutliche Spuren hinterlassen, sein endgültig letztes Motorrad: Münch Mammut 2000 „Versuch“. Ein Prototyp, aus dem der Unternehmer und begeisterte Münch-Fan Thomas Petsch von 2000 bis 2002 insgesamt 15 Maschinen, die Münch Mammut 2000, eine Vierzylinder-Turbo-Maschine mit 260 PS und 250 Stundenkilometer schnell, bauen ließ. Danach, von 2000 bis 2008, betreibt Münch ein Motorenmuseum in Laubach, einer Kleinstadt im Landkreis Gießen. Im April 2014 verstirbt Friedel Münch. Bestehen bleibt der Respekt vor der Schaffenskraft, vor dem Idealismus und Wagemut des immer bescheiden gebliebenen Kfz-Meisters. Die Motorradwelt ahnt schon, die Legende Münch wird ewig weiterleben.