Die Münch 212

Mit 16 Jahren kaufte ich mir mein erstes motorisiertes Zweirad. Es war eine Herkules MK2. Für ein echtes Kleinkraftrad reichten die finanziellen Möglichkeiten leider nicht, aber das Interesse an Motorrädern war geweckt. Ein Schulkamerad hatte damals in seinem Zimmer ein Poster der Münch TTS-E hängen. Natürlich faszinierte uns ein Motorrad mit einer Höchstgeschwindigkeit von über 200 km/h enorm, wenn wir doch selbst nur mit 60 – 80 km/h unterwegs waren. Die Faszination für die Münch war geweckt und ist nie mehr richtig abgeflaut. Zusätzlich geschürt wurde sie durch ein kleines Büchlein mit dem Titel „Motorräder der Welt“ von 1976. Dort war die Münch ebenfalls zwei Mal abgebildet.

Doch der Traum befand sich damals in unendlich weiter Ferne. Jahre vergingen, in denen ich mein Abitur machte und mit einem Maschinenbaustudium begann. Nach dessen Abschluss kramte ich alle Ersparnisse zusammen und kam auf etwa 10.000 DM. Dafür hätte ich eine Münch kaufen können, doch brauchte ich erst einmal ein vernünftiges Auto, um regelmäßig zur Arbeit fahren zu können. Der VW-Bus aus meiner Studentenzeit hatte das zeitliche gesegnet und ein gebrauchter Passat musste her. Somit war der Traum der ersten Münch gleich wieder ausgeträumt. Zwei Jahre später hatte ich dann wieder etwa den gleichen Betrag auf der hohen Kante, jedoch waren die Münch-Preise zu meiner Ernüchterung schon in die Region von 16.000 DM enteilt, was mir das Studium von Kleinanzeigen unerbittlich klar machte. Also kaufte ich mir, für wenig Geld, eine gut erhaltene Honda CBX und eine teure Spiegelreflexkamera, von der ich auch schon immer geträumt hatte. So gingen die Jahre ins Land und als ich dann einmal 16.000 DM hätte aufbringen können, waren die Preise auf über 30.000 DM nach oben entrückt! Ich war einfach immer zu spät dran. 1989 erschien dann der berühmte Artikel von Helmut Bredl „Krieg und Friedel“ im MOTORRAD-Heft. Da war eine weiße Münch abgebildet, welche mich absolut faszinierte.

Ich schwor mir: So eine wirst du eines Tages besitzen, koste es, was es wolle! Im Oktober 1990 besuchte ich zusammen mit einem Freund die Veterama in Mannheim. Die stille Hoffnung, vielleicht dort auf ein Angebot zu stoßen, wurde natürlich nicht erfüllt. Auf dem Fußweg von dem Markt zum Parkplatz kamen wir an einer Unmenge von geparkten Fahrrädern und Motorrädern vorbei. Plötzlich sagte mein Freund: „Da steht eine Münch!“ Tatsächlich: mitten im Gewühl stand völlig unscheinbar eine etwas herunter gekommene Maschine. Egal, dachte ich,
restaurieren will ich sie sowieso, also spielt der Zustand keine Rolle. Aber wie den Besitzer ausfindig machen? Da sah ich, dass am Lenker ein Helm hing. Münch-Fahrer sind also ehrliche Leute und glauben das auch von ihrem Umfeld! Ich schrieb einen kleinen Zettel mit dem Text: „Ist diese Münch zu kaufen?“ und meine Telefonnummer dazu. Tatsächlich rief mich der Besitzer ein paar Tage später an. Er meldete sich mit Uli Feißel und erzählte mir folgendes: „Was in der Presse schlechtes über die Münch geschrieben steht, stimmt alles gar nicht. Ich fahre meine Münch schon über 100.000 km, war damit am Nordkap und hatte noch nie ernsthafte Probleme, bin noch nie liegen geblieben. Allerdings ist sie in einem ungepflegten und schlechten Zustand, weshalb ich mich bei den Treffen immer ganz an den Rand stelle, um nicht so aufzufallen. Im Übrigen habe ich auf den Bredl-Artikel „Krieg und Friedel“ einen Leserbrief mit einer entsprechenden Gegendarstellung geschrieben, welcher auch ein paar Hefte später abgedruckt wurde. Meine Münch werde ich nie verkaufen, aber probieren Sie es einmal bei Friedel Münch persönlich, der weiß auch oft, ob eine Maschine zum Verkauf steht.“ Darauf hin gab er mir die Telefonnummer von Friedel und verabschiedet sich. Persönlich habe ich Uli Feißel leider bis heute nie kennen gelernt. Nach dem Gespräch war ich erst einmal wie elektrisiert und habe sofort noch einmal den Bredl-Artikel heraus gezogen, das Heft lag wegen der „weißen Münch“ immer griffbereit. In meinem gut sortierten Archiv fand ich auch gleich das Heft 22/98 mit dem eben erwähnten Leserbrief!

Danach fing ich an, konsequent die Kleinanzeigen im Oldtimer-Markt zu verfolgen, im MOTORRAD wurde schon kaum mehr etwas angeboten und das Internet war noch nicht so weit. Zu meiner Überraschung war das Angebot schon sehr stark geschrumpft. Die erste Münch, die ich mir im Januar 1991 außerhalb eines Museums ansehen konnte, war die Maschine von Hermann Korn in Hirschaid bei Bamberg. Die Maschine gefiel mir ganz gut, hatte aber den Nachteil einer Rahmenreparatur nach einem Unfall auf dem Hockenheimring und war mit rund 32.000 DM auch nicht gerade günstig. Ein paar Tage später nahm ich allen Mut zusammen und rief Friedel Münch an. Den berühmtesten Motorradkonstrukteur aller Zeiten! Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich mein Ansinnen vortrug. Leider konnte er mir auch nicht weiterhelfen und riet mir, Hermann Korn einfach noch etwas runter zu handeln und seine Maschine zu nehmen. Dann fragte er noch, wo ich denn überhaupt seine Telefonnummer herhätte.

Ich erzählte die ganze Geschichte, die auf der Veterama begann. Friedel sagte nur: „Ach, Sie sind das gewesen! Na gut, der Uli ist ein lieber Kerl und wenn er meine Nummer weitergibt, geht das in Ordnung.“ Mein Gott, dachte ich, wie klein ist die Münch-Welt, wenn sich die Zettelgeschichte schon bis zum Meister herumgesprochen hatte. Allerdings sollten noch 17 Jahre vergehen, bis ich Friedel Münch persönlich kennen lernen durfte (Laubach 2008). Kurze Zeit später wurde die Münch von Jürgen Saga in Mechernich im Oldtimer Markt angeboten.

Ich habe gleich für das nächste Wochenende einen Besichtigungstermin vereinbart und bin an einem Tag die 350 km hin und zurück gefahren. Die Maschine war sowohl optisch als auch technisch in einem nur mäßigen Zustand, wie sich später herausstellte, und hätte auch knapp 32.000 DM kosten sollen. Die Finanzierung hatte ich mittlerweile geklärt, mein Vater gewährte mir ein zinsloses Darlehen, welches binnen 10 Jahren zurück zu zahlen sei. Doch für so viel Geld ein doch etwas verschlissenes Motorrad zu kaufen kostet schon Überwindung, weshalb ich mich nicht spontan zum Kauf entschließen konnte. Am folgenden Montag erzählte ich dann im Geschäft, dass ich mir am Wochenende wieder einmal eine Münch angesehen hatte (um genau zu sein: die Zweite, die zum Verkauf stand). Da sagte die Praktikantin, die mir gegenübersaß: „Eine Münch? Da stand eine am vergangenen Freitag bei uns im Wochenblatt in Schwäbisch Gmünd!“ Mit dem Unterton: Gibt’s doch wie Sand am Meer… Ich bat sie also, das Inserat sofort mitzubringen, was sie am nächsten Tag auch tat. Ein sofortiger Anruf ergab folgende Situation: Es meldete sich ein gewisser Helmut Bredl und erklärte mir, die Münch sei so gut wie weg, stehe aber noch bei ihm. Im ersten Moment wusste ich gar nicht, um welchen Helmut Bredl es sich dabei handelte. Ich bat ihn, mir die Maschine ansehen zu dürfen, obwohl sie praktisch verkauft ist, um einfach ein besseres Gefühl für Preis und Zustand der Münch-Motorräder zu bekommen. Zumal es sich um eine Einspritzer-Version handelte, worauf ich besonders scharf war. Ich fuhr also am späten Nachmittag los und weiß noch wie heute, dass es furchtbar schneite. Für die etwa 70 km lange Strecke habe ich doppelt so lange wie unter normalen Verhältnissen gebraucht. Endlich angekommen, erzählte mir Herr Bredl folgende, etwas tragische Geschichte: Er lag im Krankenhaus nach einer Operation wegen Krebs im Knie. In dieser Zeit hatte seine Frau die Aufgabe, seine Münch zu verkaufen. Aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund erschien in dem Inserat jedoch ein Preis von 24.500 DM statt der von Herrn Bredl gewünschten 34.500 DM. Seine Frau wusste das jedoch nicht und sofort nach Erscheinen des Wochenblattes kam ein Amerikaner, dem sie die Münch für den niedrigen Preis verkaufte. Sie ging
danach voller Stolz ins Krankenhaus, um ihrem Mann die frohe Botschaft zu verkünden, die Maschine ohne runter zu handeln verkauft zu haben. Herr Bredl fragte sie also: „Die vollen 34.500 DM?“ Antwort: „Nein, wieso? 24.500 DM stand doch im Inserat!“ Nachdem er mir das erzählt hatte, führte er mich in seinen benachbarten Stall und zeigte mir die fast verschenkte Maschine: Ich erinnere mich noch genau an einen Ölfleck unter dem Simmering vom Hinterradantrieb und daran,

dass sie etwas zierlich neben seiner Gold Wing wirkte. Egal, meine Münch sollte es ja nicht werden. Die Heimreise dauerte wegen des Schnees wieder ewig, doch mit einer interessanten Lebenserfahrung kehrte ich nach Mitternacht nach Stuttgart zurück. Ein paar Tage später jedoch rief mich Herr Bredl wieder an und sagte, dass sich folgendes abgespielt habe: Der Kunde kam und wollte die Maschine abholen. Bredl erklärte ihm, dass alles ein Missverständnis sei und der Preis um 10.000 DM höher läge. Daraufhin zog der Amerikaner wutentbrannt wieder ab. Bredl erklärte mir, dass sie furchtbar gestritten hätten und dass die Maschine nun mir gehöre, weil ich so unerbittlichen Einsatz gezeigt habe. Ich konnte mein Glück kaum fassen, obwohl der Preis meinen finanziellen Rahmen sprengte. Irgendwie würde ich die Lücke schon finanzieren können, dachte ich. Doch es kam anders: in der damaligen Zeit war ich beruflich oft bei Audi in Neckarsulm. Mehrere Tage in der Woche hielt ich mich dort in der Produktion auf. Es war ja noch die Zeit ohne Handys und entsprechend schwer, jemanden zu finden, der nicht irgendwo in einem Büro in der Nähe eines Festanschlusses saß. Trotzdem kam eines Tages ein Audi-Mitarbeiter auf mich zu gelaufen und sagte, da wäre jemand am Telefon für mich in den Meisterbüros. Ich war sehr erstaunt, wer mich hier finden konnte, das hätte wahrscheinlich selbst mein eigener Chef nicht geschafft. Es war Helmut Bredl. Er hatte so lange bei mir in Zuffenhausen am Arbeitsplatz angerufen, bis ein entnervter Kollege an mein Telefon gegangen ist und ihm sagte, dass ich bei Audi sei. Dort hat er mich also gefunden und folgendes erklärt: Der Amerikaner kam nochmals mit seinem Rechtsanwalt vorbei, welcher Bredl erklärte, dass er die Münch zum Preis im Inserat heraus geben müsse, weil die Frau eine verbindliche Zusage gemacht hat. Wenn er das nicht tun würde, hätte der Amerikaner das Recht, eine andere, vergleichbare Maschine zu kaufen und Bredl müsste den Differenzbetrag erstatten. Also gab er die Münch schweren Herzens her. Und mein Traum war geplatzt. Interessant war noch folgendes: als ich von der ersten Besichtigung wieder im Geschäft erzählte, fragte mich die Praktikantin, ob der Münch-Verkäufer etwas außerhalb der Stadt wohne und Schäferhunde hätte. Ich sagte „Ja, warum?“ „Weil es dann Herr Bredl ist, er war früher mein Grundschullehrer!“ Die Welt ist so unendlich klein….

Nachdem die Bredl-Maschine weg war nahm ich dann doch die von Jürgen Saga. Der Markt bot damals einfach nichts anderes. Als ich dann im selben Jahr bei der ersten großen Ausfahrt im Schwarzwald im strömenden Regen nur noch mit zwei Zylindern fuhr, war mir klar: jetzt muss die Komplettrestaurierung losgehen. Es dauerte etwa zwei Jahre und seit diesem Zeitpunkt ist die 212 weiß, wie oben beschrieben! Jürgen Saga war der zweite Besitzer und der Original-Fahrzeugbrief ist noch vorhanden. Die Historie ist also ziemlich lückenlos, seit nun über 23 Jahren ist
diese Münch in meinem Besitz. Ihren ersten „öffentlichen“ Auftritt hatte sie dann im MOTORRAD 11/1995 im Rahmen des Artikels „Gebrauchtkauf Honda CBX“:

Ein paar Jahre später konnte ich auch Holger Aue dazu überreden, meine Münch im MOTORRAD 4/2000 als Comic zu präsentieren. Ich hatte ihm Fotos geschickt und eines davon hat er 1:1 umgesetzt. Nur die Farbe ist verfälscht. Korrekter Weise hat er auch die im Original weiß lackierten Ölkühler „umgefärbt“. Ansonsten stimmt jedes Detail!

Seit meinem Beitritt zum Münch-4-Club e.V. beim Jahrestreffen 2008 ist die 212 nun relativ regelmäßig bei den Club-Treffen dabei. Doch die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende: vor etwa einem halben Jahr (!) saßen Rudi Schiller und ich bei mir im Wohnzimmer und erzählten uns unsere Münch-Geschichten. Wobei seine natürlich wesentlich mehr in die Vergangenheit zurückgehen als meine. Als ich ihm dann die Bredl-Geschichte erzählte, fiel er fast vom Stuhl: „Was, der Bredl hat meine Münch verkauft, das darf der doch gar nicht!“ Sage ich: „Rudi, reg‘ dich nicht auf, das ist über 20 Jahre her, aber warum „deine“?“ Dann erzählte mir Rudi die wahre Geschichte: Vor Helmut Bredl war Rudi der Besitzer dieser Münch. Bredl wollte sie ihm unbedingt abkaufen und hat Rudi so lange genervt, bis er sie endlich hergab. Unter einer Bedingung: falls Bredl sie jemals wiederverkaufen sollte, muss er zuerst Rudi fragen, ob er sie wieder zurückhaben möchte. Das hat Herr Bredl aber nicht getan! Und so ist diese Münch nach Amerika entschwunden. Rudi, du wirst sie nie wiedersehen, trage es mit Fassung!

Nachtrag vom Münch-Treffen im Mai 2015 in Frankfurt:

Am letzten Abend gingen wir in die Klassikstadt zum Abendessen. Wir waren etwas erstaunt, dass Rudi als einziger schon am Ende des großen Tisches saß. Prima, dachten wir, setzen wir uns gleich dazu damit die Kinder ihren festen Platz haben und anfangen können zu malen. Wir haben dann sehr schnell rausgefunden, warum Rudi schon saß: er ist im Lederanzug zu Hause losgefahren und hat vor lauter Euphorie seine Jeans vergessen. Lorenz hat ihn dann zwar noch angewiesen, sich bei mir eine Hose zu leihen oder beim Aldi eine zu kaufen. Das erste war Rudi aber zu peinlich und für das zweite war er zu geizig. Also ist er in einer kurzen Turnhose zum Abendessen gegangen. Damit das nicht auffällt, hat er sich eben gleich hingesetzt.

Später gesellte sich dann noch Marten Thode zu uns. Während des Abends erzählte er, dass er vor vielen Jahren einmal von einem Münch-Fahrer angerufen wurde, der seine Münch zerlegt und Probleme beim wieder zusammenbauen hatte. Er bat Marten um telefonische Hilfe, welche er auch bekam. Nach mehreren Telefonanrufen herrschte dann lange Zeit Funkstille. Einige Zeit später stand dann plötzlich ein Münch-Fahrer mit Maschine vor Martens Haustüre und stellte sich als der Reinhard Witte vor, welchem Marten telefonisch geholfen hatte. Die Münch lief wieder.

Da lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Der Name kam mir so bekannt vor und ich hatte eine wahnsinnige Ahnung, die ich aber in diesem Moment nicht beweisen konnte. Deshalb fieberte ich darauf, am Sonntagabend nach Hause zu kommen. Die ganze Fuhre im Hof abgestellt, rein ins Haus, Schuhe ausgezogen und sofort in mein Arbeitszimmer gesprungen. Den Ordner mit dem alten, originalen Fahrzeugbrief meiner Münch herausgezogen und tatsächlich: Reinhard Witte war der Erstbesitzer meine Münch 212!!! Über Marten habe ich dann seine Emailadresse bekommen und seitdem stehen wir per Mail in Kontakt. Eines Tages werden wir uns sicher treffen und er seine damalige Münch wiedersehen. Ich hatte jahrelang übers Internet versucht, ihn zu finden. Trotz Google, Facebook und Co. jedoch keinerlei Erfolg, so dass ich schon aufgegeben hatte. Und nun dieser Zufall! Die Welt ist klein.